Artikel vom 22.10.2007, Druckdatum 22.11.2024

„Wir müssen uns alle an einen anderen Lebenstil gewöhnen“

Die weltweite Ölproduktion hat im Jahr 2006 ihren Höhepunkt (Peak) überschritten und fällt jetzt mit einigen Prozentpunkten pro Jahr zurück. Das ist die Kernbotschaft einer globalen Ressourcen-Studie, die von der Energy Watch Group heute in London vorgestellt wird. Damit entspricht die Energy Watch Group den Aussagen des ehemaligen US-Verteidigungssekretärs James Schlesinger vor kurzem auf einem Ölgipfel in Cork: „Die Schlacht ist vorbei, die Peak-Oil-Protagonisten haben gewonnen.“ Schon zuvor hatte sich König Abdullah von Saudi Arabien, der größte Ölproduzent der Welt, dazu geäußert: „Der Ölboom ist vorbei und wird nicht zurückkehren. Wir müssen uns alle an einen anderen Lebenstil gewöhnen.“

Schon in den nächsten beiden Jahrzehnten wird die globale Ölversorgung dramatisch zurückgehen und eine Versorgungslücke erzeugen, die auch durch erhöhte Energieproduktion aus anderen fossilen oder atomaren und alternativen Quellen kaum so schnell geschlossen werden kann. „Das alarmierendste Zeichen ist die steile Abnahme der Ölversorgung nach dem Peak“, warnt Jörg Schindler von der Energy Watch Group. Dieses Ergebnis und dazu der Zeitpunkt des Peak stehen offensichtlich in scharfem Kontrast zu den Projektionen und Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA).

Die IEA bestritt bis vor kurzem, dass eine grundlegende Änderung der Energieversorgung in naher oder weiterer Zukunft wahrscheinlich sei. Hans-Josef Fell, Energieexperte der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, stellt dazu fest: „Die Botschaft der IEA, dass auch in Zukunft business as usual möglich sei, schickt ein diffuses Signal an die Märkte und verhindert damit Investitionen in die bereits vorhandenen Technologien der erneuerbaren Energien.“

Laut Industriedatenbank HIS (2006) werden die restlichen Weltölreserven auf 1,255 Gigabarrel geschätzt. Für die Energy Watch Group jedoch gibt es stichhaltige Gründe, diese Zahlen für einige Regionen und Schlüsselländer zu korrigieren und daraus eine Schätzung von 854 Gigabarrel abzuleiten. Die Wissenschaftler der Energy Watch Group verlassen sich nicht in erster Linie auf Daten über Öl-Reserven, weil diese Angaben sich in der Vergangenheit häufig als unzuverlässig erwiesen haben, sondern gründen ihre Analyse hauptsächlich auf Produktionsdaten, die leichter zu verfolgen und auch zuverlässiger sind.

Indes geht die Debatte über Peak Oil weiter. Verschiedene, den Energiekonzernen nahestehende Institutionen wie CERA beteiligen sich an einer Kampagne, die Peak Oil als „Theorie“ darzustellen versucht. Der Report der Energy Watch Group dagegen weist Peak Oil als Realität aus. Die Welt steht am Anfang einer strukturellen Veränderung des Wirtschaftssystems. Diese Veränderung wird mit einer steil abnehmenden Versorgung mit fossilen Brennstoffen beginnen und fast alle Aspekte des täglichen Lebens beeinflussen.

Versorgungsengpässe könnten sogar zu Massenunruhen führen, wie das Beispiel Birma in diesem Monat zeigte. Die Regierungen, die Wirtschaft und die Bürger sollten sich darüber klar werden, dass die jetzt absehbare Entwicklung eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt.

„In der Diskussion mit der Ölindustrie habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Peak Oil dort wie auch in der Regierung ein Tabuthema ist. Je offensichtlicher die Förderspitze ist, umso weniger wird verstanden, was das bedeutet“, sagt Jeremy Leggett, Chef von Solarcentury und früherer Berater der britischen Regierung zu Fragen erneuerbarer Energien.

„Meiner Erfahrung aus Diskussionen mit der Ölindustrie und Regierungsbeamten war, dass die Peak-Oil-Problematik tabuisiert wird. Je offensichtlicher die Zeichen einer frühen Förderspitze sichtbar werden, umso rätselhafter werden diese Verdrängungsversuche.“ sagt Jeremy Leggett, Chef von Solarcentury und früherer britischer Regierungsberater zu Energiefragen.

Die Energy Watch Group ist eine Initiative des Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell und weiterer Parlamentarier aus anderen Ländern. Träger ist die Ludwig-Bölkow-Stiftung. In dem Projekt erarbeiten Wissenschaftler unabhängig von Regierungs- und Unternehmensinteressen Studien über fossile und atomare Ressourcen, Szenarien für erneuerbare Energien sowie Strategien für eine langfristig sichere Energieversorgung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren in erster Linie ökonomische und technologische Zusammenhänge. Die Ergebnisse dieser Studien werden über die Fachkreise hinaus auch in die politisch interessierte Öffentlichkeit transportiert. 

Quelle: Energy Watch Group

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