Artikel vom 16.07.2009, Druckdatum 22.11.2024 | |
Was Sie schon immer über DESERTEC wissen wollten Masterplan, Vision, Fiktion oder Utopie? Nicht nur der Berliner Tagesspiegel stellt diese Frage angesichts des Wüsten-Solarprojekts DESERTEC. Auch vielen anderen drängen sich Fragen auf, ob das wirklich funktionieren kann? Und wie? Ob das gerecht ist oder eine neue Form von Kolonialismus? Und ob dann in Deutschland überhaupt noch Photovoltaik Anlagen gebaut werden? Alles nur Spinnerei oder die große Wende für die weltweite friedliche und wirtschaftliche Nutzung der Solarenergie und eine kohlendioxidfreie Welt? Hier einige Antworten. Zwölf Unternehmen – ABB, ABENGOA Solar, Cevital, Deutsche Bank, E.ON, HSH Nordbank, MAN Solar Millennium, Münchener Rück, M+W Zander, RWE, SCHOTT Solar und Siemens – haben am 13. Juli 2009 in München ein so genanntes „Memorandum of Understanding“ zur Gründung einer Desertec Industrial Initiative Planungsgesellschaft (DII) unterzeichnet. Ziel dieser Initiative ist die Analyse und Entwicklung von technischen, ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen zur CO2-freien Energieerzeugung in den Wüsten Nordafrikas. Das DESERTEC Konzept (Desertec ist ein Kunstwort aus den englischen Wörtern für Wüste und Technik) beschreibt die Perspektiven einer nachhaltigen Stromversorgung für alle Regionen der Welt mit Zugang zum Energiepotenzial von Wüsten. Es wurde von der Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation (TREC), einem weltweiten Netzwerk von Wissenschaftler/innen, Politiker/innen und Unternehmer/innen zusammen mit dem Club of Rome Deutschland entwickelt. Gründer der DESERTEC Foundation sind die Deutsche Gesellschaft Club of Rome und Mitglieder des TREC Netzwerks aus vier Kontinenten. Laut Greenpeace können solarthermische Kraftwerke zukünftig bis zu einem Viertel der weltweiten Stromversorgung decken. Ein intelligenter Strommix aus dezentral verfügbaren Erneuerbaren Energien unter Einbeziehung von Offshore Windenergie und Wüstenstrom kann somit zur Bewältigung der globalen Energie- und Umweltprobleme beitragen. Bis 2050 kann eine Vollversorgung durch Erneuerbare Energien erreicht werden. Doch wie soll das alles wirklich funktionieren? Wenn überhaupt! Und woher wollen wir das wissen? Hier ein paar Antworten: Wie funktioniert ein solarthermisches (CSP) Kraftwerk, was bringt das und was kostet das alles? Ein CSP-Kraftwerk (engl. Concentrating Solar-Thermal Power Plants – kurz: CSP) funktioniert genau wie ein Kohle-Dampfkraftwerk, nur wird anstatt der Kohle konzentrierte Sonnenenergie zur Dampferzeugung genutzt. Zu diesem Zweck werden große Spiegel der Sonne nachgeführt, um das Sonnenlicht wie in einem Brennglas zu bündeln. Ein großer Vorteil dieser Technologie ist, dass man einen Teil der Sonnenwärme tagsüber in großen Wärmespeichern sammeln und dann nachts oder ganz gezielt bei Lastspitzen an den Dampfkreislauf abgeben kann. Damit kann erneuerbare Ausgleichs- und Regelenergie nach Bedarf im elektrischen Netz bereitgestellt werden. Szenarien des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) sprechen alleine in Nord-Afrika und dem Nahen Osten von bis zu 470.000 MW CSP bis 2050. Die Investition in den Bau eines 250 MW Kraftwerks mit Luftkühlung beträgt derzeit rund 1 Milliarde Euro. Ein CSP-Kraftwerk kann an guten Standorten dank Wärmespeichern Tag und Nacht rein solar mit voller Leistung laufen und die Betriebsdauer beträgt mehr als 40 Jahre. Es fallen keine Brennstoffkosten an; das gesparte Erdöl oder Erdgas kann also im Boden verbleiben oder teuer auf dem Weltmarkt verkauft werden (anstatt es unter Wert im Standortland zu verbrennen). Wenn man zur Kühlung in Küstennähe Meerwasser anstatt Trinkwasser nutzt, können mit einem Kollektorfeld das für 250 MW ausgelegt ist eine 200 MW Turbine betrieben und 100.000 Kubikmeter Trinkwasser am Tag (über 4 Millionen Liter pro Stunde) durch Entsalzung gewonnen werden. Bei flachen Fresnel Spiegelfeldern bestünde sogar die Möglichkeit, den Schatten unter den Kollektorflächen für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Wird durch solche Großtechnologien im Ausland nicht der dezentrale Ausbau Erneuerbare Energien in Deutschland abgebremst? Allein die zu erwartenden dramatischen Klimaveränderung zwingen dazu, alle Möglichkeiten, Erneuerbare Energien einzusetzen, zu nutzen. Bis 2015 muss der Trend weltweit ansteigender Treibhausgase gestoppt und umgekehrt werden und bis 2050 müssen Industriestaaten wie Deutschland ihre Emissionen auf nahe Null senken. Greenpeace hat mit seinem Weltenergieszenario „energy[r]evolution“ von 2009 gemeinsam mit dem Europäischen Industrieverband der Erneuerbaren Energien (EREC) und dem Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufgezeigt, wie unter Berücksichtigung eines massiven Ausbaus dezentraler und zentraler Erneuerbaren Energien der weltweite Strombedarf auf eine fast vollständige Versorgung durch Ökostrom umgestellt werden kann. Gemeinsam mit Effizienzmaßnahmen sind so die notwendigen globalen Klimaschutzziele realisierbar. Gleichzeitig wird weltweit ein Ausstieg aus der Atomkraft bis 2030 möglich. In diesem Szenario wurden alle derzeitig realistischen Potenziale der Erneuerbaren Energien ausgeschöpft, was zeigt, dass angesichts der Klimaveränderung ein hohes Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sowohl in Deutschland (bzw. weltweit mit dezentralen Anlagen auf Dächern, an Autobahn-Lärmschutzwänden, auf ehemaligen Mülldeponien etc.) PLUS Stromimporten aus Wüsten alternativlos ist. Beutet Europa wieder Afrika aus? Was hat die MENA Region davon? Die Skepsis hat nach Ansicht von Greenpeace einen berechtigten Hintergrund: Die derzeitige Situation des Imports von Energierohstoffen wie Erdöl, Kohle, Uran oder Erdgas beruht zum Teil auf einer Ausbeutung vieler, auch afrikanischer Länder. Doch Solarenergie ist praktisch unbegrenzt; ihre Erschließung kann zur technologischen Entwicklung der Länder beitragen. MENA (Middle East and North Africa) wird 2050 denselben Bedarf an Strom und Trinkwasser haben wie Europa und benötigt dringend Erneuerbare Energien zu dessen Erzeugung. Durch die DESERTEC-Idee könnte der Bedarf dieser Länder an Strom und entsalztem Wasser gedeckt werden. Zudem würde der lukrative Verkauf des Sonnenstroms auf dem Weltmarkt möglich. Greenpeace fordert daher, dass zuerst die MENA Länder von den Wüstenstrom-Projekten profitieren müssen. Erst dann können die Regionen Strom in den Norden exportieren. Ein erheblicher Teil der Wertschöpfung muss und kann auch vor Ort bleiben. Das kann zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Wüstenstaaten beitragen. Deswegen müssen gemeinschaftliche Ansätze zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten zur Erschließung des Wüstenstroms entwickelt werden. Ist es sinnvoll, wenn Europa den Ausbau Erneuerbarer Energien in MENA fördert? Eine Investitionsbeihilfe für erneuerbare Energien in einer Gesamthöhe eines einstelligen Milliardenbetrags sollte als Investition in eine sichere und unerschöpfliche zukünftige Energiequelle betrachtet werden. Für die Atmosphäre und den Klimaschutz ist es zudem unerheblich, ob die CO2 Emissionen in Europa oder im MENA Raum entstehen bzw. vermieden werden. Letztlich ist die Geschwindigkeit der CO2-Reduktion ausschlaggebend. Neben einer Reduzierung zukünftiger Konflikte um Wasser- und Energieressourcen, würden sich hierbei noch viele weitere Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger aller beteiligten Staaten ergeben. Beispielsweise könnte sich so eine auf Wissen und Technologiekompetenz gestützte Wirtschaft im MENA Raum entwickeln, was diese Länder dazu befähigen wird, Unterentwicklung und Armut mittel- und langfristig aus eigener Kraft zu überwinden. Es entstehen Arbeitsplätze in MENA für üblicherweise abwandernde Ingenieure und Jobs vor allem im Kollektorbau. Dies führt zu Einkommen und dem Aufbau einer Mittelschicht in MENA Auch die Industrienationen würden von dem großen Auftragsvolumen für den Aufbau der Solarthermischen Kraftwerke, Windparks und HGÜ Leitungen mit hunderttausenden von Arbeitsplätzen profitieren. Durch technische Verbesserungen und sinkende Kosten bei der Massenproduktion der Solarthermischen Kraftwerke, Windparks und HGÜ Leitungen kann zudem innerhalb von wenigen Jahren preislich konkurrenzfähiger Strom produziert werden. Machen wir uns bei unserer Energieversorgung nicht noch mehr vom Ausland abhängig? Nein, wir erweitern die Zahl der Anbieter und verringern damit das Versorgungsrisiko. Deutschland wird in 2050 mit einem Anteil von maximal 15 Prozent des Strommix aus Solarstromimporten und 85 Prozent aus dezentralen Erneuerbaren Energien seine Abhängigkeit im Vergleich zur heutigen Situation stark verringern. Derzeit importiert Europa über 80 Prozent seiner Energie aus dem Ausland. Der Großteil unseres Erdöls, Erdgases und unserer Kohle wird aus teilweise instabilen oder politisch fragwürdigen Staaten importiert. Der Brennstoff Uran für die Atomkraftwerke wird sogar zu 100 Prozent aus dem Ausland eingeführt. Bislang haben sich die Exportländer zwar als weitgehend zuverlässige Handelspartner herausgestellt. Jedoch können Konflikte aufgrund immer knapper werdender fossiler Energieträgern weiter zunehmen. Ist die Abhängigkeit von politisch instabilen Ländern in MENA nicht sehr gefährlich? Konflikte zwischen Parteien, die keine gegenseitigen Abhängigkeiten haben, sind wesentlich wahrscheinlicher als zwischen solchen mit Verbindungen mit gegenseitigem Nutzen. Südlich des Mittelmeers wächst eine Region heran, die 2050 ebenso viele Einwohner/innen und ähnliche Wirtschaftskraft und damit ähnlichen Energiebedarf haben wird wie Europa. Eine Abschottung von dieser Region wäre für Europa wesentlich gefährlicher als eine gemeinsame Anstrengung in Richtung nachhaltiger Energieversorgung. Sicherheitspolitisch ist weltweit der Paradigmenwechsel zu vollziehen, die global zunehmenden Konflikte um begrenzte Ressourcen durch die gemeinsame internationale Erschließung erneuerbarer Ressourcen zu ersetzen. Sind solarthermische Kraftwerke in Wüsten und der Stromtransport nach Deutschland nicht viel zu teuer? Die Kosten hängen von den Produktionsstandorten und der Länge der Leitungen ab. Genaue Zahlen für konkrete Projekte müssen einzeln ermittelt werden. Die Angaben zwischen 6,5 Cent/kWh (in konstantem Geldwert des Jahres 2000) aus der DLR-Studie und 16 Cent/kWh vom Industrieverband ESTELA SOLAR sind Vorabschätzungen und gar nicht unbedingt widersprüchlich, da sie sich auf unterschiedliche Marktsegmente beziehen: Die Industrie rechnet damit, vorrangig Spitzen- und Mittellaststrom bei etwa 2.000 bis 4.000 Volllaststunden Auslastung im Jahr zu liefern. Das ist heutiger Stand der Technik. Ausgleichs- und Regelenergie erzielt höhere Erlöse als Grundlaststrom und kostet auch mehr, aufgrund der geringen Auslastung der Turbinen. Das DLR rechnet in der TRANS-CSP Studie dagegen nach 2020 schon mit nennenswerten Solarstromanteilen an der Grundlast bei 5000 bis 7000 Volllaststunden, da auf diese Weise erheblich mehr Kohlendioxid vermieden werden kann. Grundlaststrom erzielt geringere Erlöse und kostet aufgrund der hohen Auslastung der Turbinen auch deutlich weniger. Könnte ein terroristischer Anschlag auf Leitungen oder Kraftwerke schlagartig die europäische Stromversorgung lahmlegen? Solarstromimporte aus der gesamten MENA Region könnten laut der TRANS-CSP Studie des DLR bis 2050 etwa 17 Prozent der europäischen Stromversorgung abdecken. Der zukünftige Energiemix ist - wie heute auch - auf etwa 125 Prozent der Spitzenlast ausgelegt, beinhaltet also 25 Prozent Reservekapazität für Notfälle. Ausreichend Energie wäre also auch bei einem sehr unwahrscheinlichen gleichzeitigen Totalausfall aller Solarkraftwerke und Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) noch verfügbar, allerdings dann zum großen Teil aus gespeicherten fossilen Brennstoffen und Reservekraftwerken. Ein starker EU MENA Verbund mit HGÜ Stromautobahnen könnte größere Ausfälle dieser Art verkraften als das heutige Wechselstromnetz. Zum Abschluss nochmal zurück zum Berliner Tagesspiegel, in dem der Redakteur Kevin P. Hoffmann provokant fragt: „Zu wirr, zu weit gedacht?“, und feststellt: „Vielleicht.“ Aber Spinnereien seien bei diesem Thema möglich, sogar nötig. Anders lasse sich keine Idee verfolgen, von der selbst jene Forscher, die den Plan erstellten, sagen, dass es bis zum Jahr 2050 dauern könnte, bis er Wirklichkeit wird. „Desertec wäre (anders als die Mondlandung) ein Mehr-Generationen-Projekt. Nur Konzerne, die tatsächlich davon überzeugt sind, dass sie mit der Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien im großen Stil Geld verdienen können, werden so ein Projekt langfristig stemmen wollen und können. Und diese Firmen sind darauf angewiesen, dass es weiterhin neugierige Kleinkünstler, Krankenschwestern und Lehrer gibt, die sich nach Feierabend einmischen, die Fehler aufzeigen, quer denken oder einfach nur laut von einer kohlendioxidfreien Welt träumen.“ Noch mehr Antworten gibt es unter www.desertec.org und bei www.greenpeace.de Quelle: DESERTEC Foundation, Greenpeace, Berliner Tagesspiegel |