Artikel vom 26.11.2011, Druckdatum 22.11.2024 | |
Vision einer klimaneutralen Stadt am Beispiel Freiburgs Freiburg kann bis zum Jahr 2050 zu einer klimaneutralen Stadt werden. Das ist das Fazit einer Studie des Öko-Instituts, die unter Beteiligung der Energieagentur Regio Freiburg und des Fraunhofer ISE entstand. Um dieses äußerst ehrgeizige Ziel zu erreichen, müssen in Freiburg der Energieverbrauch massiv reduziert und die Energieversorgung einschließlich des Verkehrsbereichs nahezu vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt werden. „Die Vision einer klimaneutralen Stadt kann nur dann verwirklicht werden, wenn wir und alle verantwortlichen Handlungsträger heute bereits die Rahmenbedingungen schaffen“, betont Oberbürgermeister Dieter Salomon. Die große Herausforderung könne nur dann gestemmt werden, wenn wir vom Land, vom Bund und auch von der EU massiv unterstützt werden, so Salomon weiter. Im Gegensatz zum Klimaschutzkonzept 2007 müssten weitaus mehr Faktoren zusammen kommen, um das Ziel, ein klimaneutrales Freiburg, erreichen zu können. „Hohe technische Standards erfordern auch zusätzliche finanzielle Anstrengungen in den kommenden Jahren“, erläutert Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik bei der Vorstellung der Studie des Öko-Instituts. „Klimaneutrale Stadtteile und ein modernes Mobilitätsmanagement seien wichtige künftige Aufgaben für Freiburg. In diesem Bereich werden wir uns verstärkt engagieren“, so Baubürgermeister Martin Haag. Der Weg in ein so genanntes Post-Öl-Zeitalter wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Wenn heute nicht gehandelt wird, werden die volkswirtschaftlichen Kosten in der Zukunft ein Vielfaches von dem betragen, wie wenn man jetzt aktiv würde. Deshalb müssen die in der Studie des Öko-Instituts berechneten Investitionen immer auch in Bezug zu den möglichen Folgekosten des Nichthandelns gesetzt werden, dies aber auch auf nationaler Ebene. Ausgangslage Freiburg bewarb sich 2010 beim baden-württembergischen Wettbewerb „Klimaneutrale Kommune“. In dem Wettbewerb sollten Städte und Kommunen eigene Strategien aufzeigen, wie sie ihren Strom und Wärmebedarf sowie ihren Energiebedarf für Mobilität bis 2050 weitgehend CO2-neutral bereitstellen können. Außer Freiburg sind acht weitere Städte und Gemeinden ausgewählt worden, darunter auch die südbadischen Städte Staufen, Emmendingen und Lörrach. Um verlässliche Daten für den Wettbewerb zu erhalten, beauftragte die Stadt das Öko-Institut. Die jetzt vorgelegte Studie geht einen neuen Weg. Es wird nicht der Weg von heute aus in die Zukunft prognostiziert und daraus mögliche Maßnahmen, Auswirkungen und Kosten entwickelt, sondern die Experten nehmen den umgekehrten Weg: Die Vision einer klimaneutralen Stadt Freiburg im Jahr 2050 ist Ausgangsbasis. In der Studie werden der gesamte Energieverbrauch der Privathaushalte, von Gewerbe, Industrie und Verkehr sowie die Energieumwandlung für 2050 abgeleitet. Zwei Szenarien werden angenommen: Das Referenzszenario, das die heutigen Aktivitäten von Bund, Land und Kommunen für den Klimaschutz fortschreibt, und ein Zielszenario „klimaneutrale Stadt“. Als Zielmarke für dieses Szenario nimmt die Studie an, dass die Emissionen von Treibhausgasen aus dem Energiebedarf im Stadtgebiet bis 2050 um mindestens 90 Prozent (gegenüber dem Basisjahr 1992) zurückgehen. In einem Rückblick aus der Zukunft, dem „back-casting“, beschreibt die Studie dann, welche Voraussetzungen und Entwicklungen nötig wären, damit Freiburg im Jahr 2050 diese Vision der klimaneutralen Stadt erreichen kann. Das Zielszenario ist daher keine Prognose für die Zukunft, sondern beschreibt eine plausible Entwicklung bei Eintreten der getroffenen Annahmen für 2050. In der Studie wurden zahlreiche allgemeine Rahmendaten fortgeschrieben, wie beispielsweise die Entwicklung der Bevölkerung und die Wohnflächen oder die wirtschaftliche Entwicklung in Freiburg und Annahmen dazu. Eine wesentliche Annahme ist die nahezu gänzlich mit erneuerbaren Energien ausgestattete Stromversorgung bundesweit. Im Zielszenario wird ebenfalls beschrieben, welche Voraussetzungen im Energiebereich bis 2050 erfüllt sein müssen, um das Ziel der Klimaneutralität erreichen zu können. Die wichtigsten Voraussetzungen sind: - Raumwärme der Privathaushalte: Energieeinsparung von 71 Prozent und vollständiger Ersatz fossiler durch erneuerbare Energieträger. Dazu müssen rund 90 Prozent des Gebäudebestandes saniert und dabei hohe Sanierungsstandards erreicht werden, ebenso müssen alle Neubauvorhaben sehr hohe energetische Standards erreichen. Bis 2020 müssen in Freiburg ein Viertel der Wohnflächen hochwertig saniert werden. - Gewerbe, Handel und Dienstleistungen: Energieeinsparung von 55 Prozent und ein Anteil von 96 Prozent erneuerbarer Energieträger. Große Einsparpotenziale resultieren auch hier aus der Verbesserung der energetischen Sanierung der Gebäude. Der Strombedarf sinkt kaum, vor allem wegen zunehmender elektrischer Klimatisierung und Lüftung. - Industrie: Energieeinsparung von 35 Prozent und ein Anteil von 91 Prozent erneuerbarer Energieträger. Zu erwarten sind branchenübergreifend effizientere Querschnittstechnologien, Optimierung der Produktionsprozesse sowie die Entwicklung von Produkten und Prozessen, die die Energieintensität verringern. - Verkehr: Erhebliche Energieeinsparung von 62 Prozent, da Fahrzeuge effizienter werden sowie Kfz-Nutzung auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagert wird. Intensiver Ausbau von Stadtbahn, S-Bahn und Radwegen. Verbleibender Kfz-Verkehr wird zu 85 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben, Pkws vorrangig elektrisch, Linienbusse mit Brennstoffzellen und Straßen-Güterverkehr mit Biokraftstoffen - Energieträger und Energie-Infrastruktur: fast vollständiger Ersatz fossiler durch erneuerbare Energieträger (Heizöl und Kohle) bis 2030; Nutzung von Erdgas bis 2050 in dezentralen Anlagen nur noch in geringem Umfang; Nah- und Fernwärme müssen ausschließlich regenerativ erzeugt werden. Der bundesdeutsche Strommix besteht zu 97 Prozent aus erneuerbar erzeugtem Strom der Freiburger Stromverbrauch muss durch höhere Effizienz auf rund 65 Prozent des heutigen Verbrauchs gesenkt werden, 71 Prozent davon müssen in der Stadt aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Für Freiburg bedeutet dies bis zum Jahr 2020 zwei neue moderne Windkraftanlagen sowie eine Verdoppelung der Stromerzeugung aus Photovoltaik „Wenn sich die Zuwächse wie in den letzten Jahren fortsetzen lassen können, ist dies im Solarbereich ein nicht zu ambitioniertes Ziel,“ so Christof Timpe, Projektleiter für die Studie im Öko-Institut. Darüber hinaus müssen aber auch Wärmenetze weiter konsequent ausgebaut werden. Vergleich mit dem Freiburger Klimaschutzkonzept 2007 Die Anforderungen an die Endenergieeinsparung und Treibhausgas Emissionen um Freiburg zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu bringen, liegen deutlich über denen des Szenarios der Klimaschutz-Strategie von 2007. Grundsätzlich kann und muss, so die Studie, der Endenergieverbrauch bis 2050 um rund 52 Prozent gesenkt werden. Der Endenergieverbrauch wird dabei zu etwa 94 Prozent mit erneuerbaren Energien gedeckt werden müssen und damit die Treibhausgas Emissionen insgesamt um rund 93 Prozent reduziert. (gegenüber dem Basisjahr 1992). Investitionen Für Gebäudemodernisierungen und energetische Sanierungen müssen bis 2050 durchschnittlich 71 Millionen Euro jährlich zusätzlich gegenüber den Referenzszenario aufgebracht werden. Der Anteil nur für energetische Sanierungen beträgt zwei Drittel. Von 2012 bis 2020 müssen in der Summe etwa 1,5 Milliarden Euro mehr als für das Referenzszenario aufgebracht werden, von 2012 bis 2050 beträgt die Differenz zum Referenzszenario rund 2,8 Milliarden Euro. Von 2012 bis 2020 muss bereits knapp ein Viertel der Gebäudesanierung realisiert werden. Die Investitionskosten für bestimmte zusätzliche Maßnahmen zum Ausbau der Wärmenetze und zur Umrüstung der Heizkraftwerke betragen zwischen 2012 und 2050 etwa 36 Millionen Euro, die Summe der zusätzlichen Investitionskosten im Bereich des Personenverkehrs beträgt rund 470 Millionen Euro. Demgegenüber stehen enorme Einsparungen bei den Ausgaben für den Import von fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas, die bislang zu einem Abfluss erheblicher Finanzmittel aus Deutschland führen. Anstelle des teuren Bezugs von Energie aus dem Ausland stehen Investitionsmittel für die den lokalen Wirtschaftskreislauf zur Verfügung, verbunden mit einer Schaffung von Arbeitsplätzen. Trotz der Schwierigkeit, für Jahrzehnte im Voraus zuverlässige Aussagen zu treffen, zeigen diese Beispiele die Dimension der Aufgaben und der Investitionen, damit Freiburg zu einer klimaneutralen Stadt wird. Besonders bei der Gebäudesanierung müssen dazu finanzielle Förderungen in weitaus größerem Ausmaß vor allem auf Bundesebene bereitgestellt werden, um die erforderlichen hohen Sanierungsziele für ein klimaneutrales Freiburg erreichen zu können. Handlungsempfehlungen der Studie Die Studie schlägt zahlreiche Maßnahmen vor, um die Klimaneutralität in Freiburg bis 2050 zu erreichen. Der unbestritten größter Handlungsbedarf besteht in der Gebäudesanierung. Hier sollte als Zwischenziel bis 2020 ein Viertel der Wohnfläche hochwertig saniert werden. Neben den Wohngebäuden sind hier auch die Liegenschaften des Landes Baden-Württemberg in Freiburg von Bedeutung, die in Summe einen deutlich höheren Anteil an den Treibhausgas Emissionen aufweisen als die städtischen Gebäude. Weitere Empfehlungen der Studie sind unter anderem, dass das Volumen der städtischen Förderung erhöht und im Rahmen einer langfristigen Strategie jeweils auf bestimmte Gebiete fokussiert werden soll, die vorhandenen Fernwärmenetze optimiert und die erneuerbaren Energien weitreichend ausgebaut werden. Das Zwischenziel bis 2020 lautet hier: Verdoppelung der Photovoltaik und Vervierfachung der Windkraft (gegenüber 2010). Eine umfassende Treibhausgas-Reduktion im Verkehrsbereich ist nur durch eine intelligente Verkehrspolitik, einen deutlich stärkeren Vorrang für Fuß- und Radverkehr und den öffentlichen Nahverkehr sowie den Einsatz effizienterer Fahrzeuge mit Kraftstoffen aus nachhaltigen, Erneuerbaren Energien erreichbar. Die Studie zeigt, dass die Treibhausgas Emissionen Freiburgs aus dem Verbrauch von Energie und aus dem Verkehr bis zum Jahr 2050 um etwa 93 Prozent reduziert werden könnten. Dazu sind jedoch außerordentlich hohe energie- und verkehrstechnische sowie finanzielle Anstrengungen erforderlich, die weit über die heutigen Klimaschutzbemühungen hinausgehen. Dies kann die Stadt nicht alleine realisieren. Freiburg kann das Ziel der Klimaneutralität nur erreichen, wenn die klimapolitischen Rahmenbedingungen in der Region, beim Land, beim Bund und in der EU grundsätzlich geändert werden. Stadt legt zwei konkrete Projekte beim Land Baden-Württemberg vor Ein Freiburger Stadtteil soll zum energetischen Vorbild-Wohnquartier entwickelt werden. Die vorhandene Energieversorgung soll optimiert und die Gebäude auf einen hohen energetischen Standard saniert werden. Neue Finanzierungsmodelle müssen dazu entwickelt und alle möglichen Fördermittel ausgeschöpft werden. Ein modernes weitgefasstes Verkehrskonzept für ein langfristiges regionales Mobilitätsmanagement soll entwickelt werden. Ziel ist vor allem eine Reduzierung des Autoverkehrs – besonders im Stadt-Umland-Verkehr – durch eine Stärkung der klimafreundlichen Alternativen. Neben der Schaffung neuer Angebote im klassischen Umweltverbund (ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) sollen Schnittstellen zwischen den einzelnen Verkehrsarten verbessert werden, damit die jeweiligen Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger optimal miteinander kombiniert werden können. Dazu gehören auch neue Mobilitätsangebote wie Carsharing oder Carpooling und ein breites Informationsangebot. Beide Projekte wird die Stadtverwaltung beim Land zur Förderung vorlegen. Die Förderung durch das Land Baden-Württemberg beträgt maximal 50 Prozent. Mit einer Entscheidung ist im Frühjahr 2012 zu rechnen. Weiteres Vorgehen Die Verwaltung wird die Studie „Freiburg 2050 - auf dem Weg zur Klimaneutralität“ dem Land vorlegen und die Förderung der beiden ausgewählten Projekte beantragen. Als weiteren Schritt steht die Fortschreibung des Klimaschutzkonzepts 2007 an. Auch soll 2012 mit den weiteren Teilnehmerstädten des Wettbewerbes, Lörrach, Emmendingen und Staufen, ein Austausch über die konkrete Umsetzung stattfinden. Darüber hinaus ist eine öffentliche Veranstaltung zur Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern vorgesehen. Anforderungen an Bund und Land Angesichts der allgemein finanziell schwierigen Situation kommen nach Einschätzung des Öko-Instituts neben steuerfinanzierten Förderprogrammen besonders Förderfonds auf Bundesebene in Frage, wie sie im Bereich der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien bereits erfolgreich genutzt werden. Die Förderung einer weitgehend energetischen Sanierung des Gebäudebestands stellt eine völlig neue volkswirtschaftliche Herausforderung dar, die nur gesamtstaatlich gelöst werden kann. Darüber hinaus werden jedoch auch neue Finanzierungsinstrumente zur Nutzung der regionalen Finanzressourcen gebraucht. Bund und Land müssen aber auch ihrer Vorbildfunktion bei ihren eigenen Liegenschaften gerecht werden. Ergebnisse der Studie zeigen, dass gerade die Landesliegenschaften einen wesentlichen Anteil an den Energieverbräuchen in Freiburg haben. Hier sollte das Land Baden-Württemberg die vorbildliche Sanierung von Landesliegenschaften in Freiburg pilothaft umsetzen. Quelle: Energieagentur Regio Freiburg |