Artikel vom 28.04.2012, Druckdatum 26.11.2024

„Morgenstadt“ – die Stadt der Zukunft

Bis 2030 wird knapp 60 Prozent der Menschheit in Städten leben. Städte brauchen jedoch Energie und Rohstoffe, sie produzieren Müll und Schadstoffe, ihre Verkehrssysteme sind überlastet. All das führt dazu, dass sie bereits jetzt vor großen Herausforderungen in Bezug auf Stadtplanung, Bau, Verkehr, Sicherheit, Energie und Klimaschutz stehen. Um nachhaltige urbane Technologien und Systeme zu entwickeln, haben sich Fraunhofer-Forscher/innen nun im Innovationsnetzwerk „Morgenstadt“ zusammengeschlossen.

Ziel der „Morgenstadt“-Initiative ist die Entwicklung und Gestaltung von lebenswerten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Städten von morgen. Bei der Umsetzung dieser Vision arbeiten innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft unterschiedliche Institute zusammen. Die Kernthemen der Initiative sind dabei Energie, Gebäude, Produktion und Logistik, Mobilität und Verkehr, Information und Kommunikation, Urbane Prozesse und Organisation sowie Sicherheit und Schutz.

In interdisziplinären Projekten erarbeiten die Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher schon heute Handlungsmodelle für ein ganzheitliches Technologiemanagement in Städten der Zukunft. In der Fraunhofer-Allianz Bau bündeln deshalb17 Fraunhofer-Institute ihre Kompetenzen zum Thema Bau. Innerhalb der „Morgenstadt“-Initiative bringen sie vor allem ihr Know-how in der Siedlungs- und Gebäudeplanung, der Erforschung innovativer Materialien und Baustoffe sowie in der Entwicklung zukunftsweisender Gebäudetechniken ein.

„Die Fraunhofer-Allianz Bau beschäftigt sich mit der systematischen Betrachtung von Gebäuden – vom Werkstoff, über Bauteil, Raum und Gebäude bis hin zur kompletten Siedlung. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen dabei unter anderem auf der Systemintegration, der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, ebenso wie auf Problemstellungen von Produkt-, System und Prozessoptimierung. In all diesen Bereichen stecken Optimierungsbedarf sowie Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Technologien und systematischer Ansätze für nachhaltige und bedarfsgerechte Gebäude“, erklärt Andreas Kaufmann, Geschäftsführer der Fraunhofer-Allianz Bau.

Gebäude- und Siedlungsplanung anhand erlebbarer Virtual Reality-Simulationen in 3D

Städte wachsen immer schneller – umso wichtiger ist es, dass ihre Entwicklung gezielt geplant und begleitet wird. Hierzu haben die Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und für Bauphysik IBP das 3D-Planungstool „Virtual Cityscapes“ entwickelt, das eine immersive und interaktive Planung von Verkehr, Gebäuden oder ganzen Städten ermöglicht. Der Städteplaner bewegt sich mit Hilfe des Tools computergestützt virtuell durch eine dreidimensionale Ansicht der Stadt, er „läuft“ also durch die Straßen. Gleichzeitig lässt sich die Ansicht mit errechneten Lärmdaten überlagern, sodass die entsprechenden Werte aus der Simulation an den zugehörigen Positionen in der 3D-Karte „schweben“. Probleme, wie etwa zu hohe Lärmbelastung, lassen sich somit schnell eingrenzen.

Innovative Baustoffe für die Steigerung von Effizienz, Umweltschutz und Sicherheit

Im Bereich der Baustoffentwicklung geht es gleichermaßen um den effizienten Einsatz von Material und Energie wie um die Entwicklung umweltfreundlicher und gesundheitsverträglicher Materialien. Eine große Rolle in der Verbesserung von Baustoffen spielen Nanotechnologien, deren Entwicklung unter anderem das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC vorantreibt. Durch die – im Verhältnis zur Masse – größere Oberfläche bewirken Nanomaterialien veränderte physikalisch-chemische Eigenschaften, die es erlauben, bestehende Baustoffe zu verbessern, völlig neue Materialien zu entwickeln und innovative Bauweisen zu realisieren. Im Fassaden-, Dach- und Fensterbau werden beispielsweise Nanomaterialien mit „selbstreinigender“ Wirkung eingesetzt. In Gips- oder Holzspanplatten eingebracht, verbessern speziell funktionalisierte Nanoporen die Raumluft, indem sie Moleküle absorbieren.

Auch zu mehr Sicherheit von sensiblen Gebäuden können Baustoffe beitragen: So hat das Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI beispielsweise einen naturfaserverstärkten Polymerbeton entwickelt, der durch sein hohes Energieabsorptionsvermögen Stoßwellen, wie sie beispielsweise bei Explosionen entstehen, dämpfen und so die Gebäude schützen kann. Von besonderer Relevanz sind diese Baustoffe zum Beispiel bei sensiblen oder besonders gefährdeten Einrichtungen, wie Krankenhäusern oder Regierungsbauten.

Eine ressourcenschonende Methode für den Hochbau hat das Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut, WKI entwickelt: Mit dem sogenannten Geschossbau können erstmals auch sehr hohe Häuser mit bis zu acht Geschossen aus Holz und somit aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut werden.

Effizienzhaus Plus: Häuser als kleine Kraftwerke mit Elektro-Tankstellenfunktion

Das Fraunhofer IBP und das Institut für Solare Energiesysteme ISE sind bei der Entwicklung des „Effizienzhaus Plus“, das am 7. Dezember 2011 in Berlin von der Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel und dem IBP-Leiter Prof. Hauser eröffnet wurde, beteiligt. Hier befinden sich auf 130 Quadratmeter Wohnfläche die neuesten technischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Energieeffizienz. Das Fraunhofer IBP hat den Architekturwettbewerb wissenschaftlich vorbereitet und begleitet sowie die technischen Kriterien für das Gebäude, in dem derzeit eine Testfamilie lebt, erstellt. Durch die innovative Photovoltaik Anlage des Fraunhofer ISE auf dem Dach und den Fassadenflächen sowie den Einsatz einer Wärmepumpe produziert das Haus mehr Strom als seine Bewohner verbrauchen. Die überschüssige Energie wird entweder in das öffentliche Versorgungsnetz eingespeist oder dazu genutzt, die Elektrofahrzeuge an der hauseigenen Ladestation zu betanken. Das Haus ist somit ein Prototyp für künftige dezentrale Energieversorgungssysteme vor allem auch für ländliche Siedlungsstrukturen.

Urbane Entwicklungsprozesse in den Bereichen Energieverbrauch und Stadtplanung

Ein weiteres Projekt des Fraunhofer IBP aus dem Bereich Energieverbrauch ist die Entwicklung des Konzepts „Stadt mit Energie-Effizienz – SEE Stuttgart“. In Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart, der EnBW Energie Baden-Württemberg AG und der Universität Stuttgart wurde ein Strategiemodell zur Einsparung von Energie entwickelt, das sich neben besonderer Effizienz und der Berücksichtigung realer Bedingungen dadurch auszeichnet, dass es auch Interessen und Verhaltensmuster der zu beteiligenden Privathaushalte berücksichtigt. Eine Roadmap »Energie« formuliert Handlungsanweisungen, wie rund 3000 GWh pro Jahr eingespart und damit eine Steigerung der Energieeffizienz von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 erreicht werden kann.

Mit der Neugestaltung eines Stadtteils beschäftigt sich ein weiteres Projekt des Fraunhofer IAO. Gemeinsam mit Partnern haben die Wissenschaftler ein Innovationskonzept für die zukunftsweisende Umnutzung des 200.000 Quadratmeter umfassenden Areals des alten Güterbahnhofs in Freiburg konzipiert. Dort sollen urbane Nutzungen wie Logistik, Wohnen und Arbeiten in besonderer Weise zusammengeführt werden. Die Herausforderung liegt dabei in der Synchronisation vorhandener Standortpotenziale und der Erschließung technischer Möglichkeiten in den Bereichen vernetzter Mobilität, urbaner Produktion und nachhaltigem Bauen.

Die Fraunhofer-Allianz Bau in Kürze
Die Fraunhofer-Allianz Bau umfasst 17 Forschungseinrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft. Verteilt auf 23 Standorte arbeiten rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Instituten der Allianz. Ihre Zielsetzung ist es, wesentliche wie forschungsrelevante Fragestellungen zum Thema Bau vollständig innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft abbilden und bearbeiten zu können. Als interdisziplinäre Organisation fungiert sie als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Forschung und Politik. Die Fraunhofer-Allianz Bau wirkt dabei auch als Indikator und Initiator neuer und innovativer Themen rund um die Bauforschung. Weitere Informationen unter www.bau.fraunhofer.de

Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft
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