Artikel vom 10.05.2012, Druckdatum 22.11.2024

Bundesrat muss Verantwortung für Erfolg der Energiewende übernehmen

Nachdem die Regierungsfraktionen am 29. März im Bundestag gegen jede energiepolitische Vernunft drastische Kürzungen bei der Photovoltaik durchgesetzt haben, liegt es nun in den Händen der Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer, dieses Vorgehen noch zu stoppen und Verantwortung für den Erfolg der Energiewende zu übernehmen. Der Bundesrat entscheidet am 11. Mai 2012, ob die Photovoltaik in Deutschland noch eine Zukunft hat oder ob eine ganze Industrie und zehntausende von Arbeitsplätzen, die seit 1999 mit Unterstützung der deutschen Bürgerinnen und Bürger entstehen konnten, innerhalb kürzester Zeit zerstört werden.

Im Kern geht es darum, ob jetzt die Systemtransformation realisiert wird, die für den Atomausstieg und den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien unabdingbar ist, oder ob sie auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wird. Die Entscheidung des Bundesrates hat somit für die Zukunft der Erneuerbaren Energien insgesamt eine enorme Tragweite, heißt es in einer entsprechenden Pressemitteilung von EOROSOLAR, der 1988 von Dr. Hermann Scheer gegründeten gemeinnützigen Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien.

Die beiden Bundesminister Röttgen und Rösler begründteen die drastischen Kürzungen mit den vorgeblich hohen Kosten der Photovoltaik heißt es dort weiter. Diese Kostendebatte ist jedoch längst überholt. Keine andere neue Technologie konnte ihre Kosten so rasch senken wie die Photovoltaik Bereits zum 1. Januar 2012 wurde die Vergütung für Solarstrom erneut um 15 Prozent gekürzt, seit 2008 wurde sie somit halbiert.

„Wer die Vergütungssätze aber so stark reduziert, dass der technische Fortschritt nicht mehr mithalten kann, der unterbindet weitere Innovationen und Kostensenkungen. Dass der Ausbaukorridor für die Photovoltaik bis 2017 ohne jede Grundlage auf nur noch 900 bis 1.900 Megawatt jährlich eingeschränkt wird, belegt deutlich, dass das Kostenargument nur vorgeschoben ist, und es stattdessen darum geht, eine Technologie als Ganzes zu marginalisieren“, so Dr. Axel Berg, Vorstandsvorsitzender der EUROSOLAR-Sektion Deutschland.

Die Bundesregierung hat durch zahlreiche Ausnahmeregelungen für Industriebetriebe die EEG Umlage selbst nach oben getrieben und so auf sehr durchschaubare Weise einen künstlichen Anlass für weitere Kürzungen konstruiert. Dabei garantieren gerade der Ausbau von Photovoltaik und Onshore-Windenergie auch künftig stabile Strompreise. Deutschland kann bis 2020 eine installierte Gesamtleistung von 70 Gigawatt Photovoltaik erreichen - bezahlbar, einfach realisierbar und verbrauchsnah - und damit ohne Bedarf für tausende Kilometer neuer Stromleitungen.

Auch das sogenannte „Marktintegrationsmodell“ ist in Wirklichkeit nur eine versteckte Kürzung. Der Versuch, regenerative Stromerzeuger ohne Grenzkosten in einen Grenzkostenmarkt zu integrieren, der für die fossil-atomare Stromerzeugung konzipiert ist, und dessen Preisbildung von den Mehrkosten je erzeugter Kilowattstunde abhängt, kann nicht funktionieren, da die Erneuerbaren Energien den Börsenstrompreis unweigerlich deutlich senken. Dies ist auch der Grund, warum die Marktprämie nur ein Kostentreiber ohne entsprechenden Nutzen ist.

Hinter diesem Ansatz steht eine falsche Prämisse: Nicht die Erneuerbaren Energien haben sich in das fossil-atomare Stromversorgungssystem zu integrieren, sondern ganz im Gegenteil müssen der restliche Kraftwerkspark und die entsprechenden technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf die Erneuerbaren Energien ausgerichtet werden. Sie geben künftig den Takt vor, nach dem sich alles zu richten hat. Doch das ist offensichtlich nicht gewollt. Während wortreich die Energiewende beschworen wird, sieht die Realität völlig anders aus: Stillstand statt Wandel, Konservierung überkommener Strukturen statt Systemtransformation.

Die Erneuerbaren Energien sind an die zweite Stelle der Energiequellen in unserer Stromversorgung aufgestiegen. Ihr Anteil an der deutschen Stromversorgung lag vor 12 Jahren bei nur 4 Prozent, nun sind es bereits über 20 Prozent. Auf ihrem Weg von 20 Prozent hin zu 40 Prozent und mehr wandeln sich die Erneuerbaren Energien von der Beimischung zur systemdominierenden Komponente. Dies ist die eigentliche Ursache des Konflikts und Motivation für das Handeln der Bundesregierung.

Gegenwärtig sind Tage und Stunden mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent regenerativ erzeugtem Strom noch die Ausnahme, künftig werden sie Normalität sein. Insbesondere der weitere Ausbau der Photovoltaik verringert den Bedarf an trägen Grundlastkraftwerken. Stattdessen bedarf es hochflexibler Regel- und Reststromkraftwerke, die bei wachsendem Anteil fluktuierender Stromerzeugung aus Wind und Sonne immer seltener gebraucht werden. Gerade durch einen dezentralen Ausbau von Wind- und Solarenergie kann dieser Prozess schnell vorangetrieben werden.

„Für einen weiteren Aufschub gibt es keine Rechtfertigung, jetzt geht es um die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Dies entspricht dem Wunsch der Mehrheit unserer Gesellschaft, sichert die Zukunft unserer innovativen Wirtschaft und schafft und sichert hunderttausende Arbeitsplätze“, schlussfolgert Irm Scheer-Pontenagel, Geschäftsführerin von EUROSOLAR.

EUROSOLAR fordert daher die Bundesregierung, die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP und insbesondere die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrats auf:

- den Pfad einer demokratisch legitimierten Energiepolitik nicht zu verlassen 

- am Erneuerbare-Energien-Gesetz und dessen Grundprinzipien festzuhalten: feste Vergütungssätze, Einspeisevorrang und Planungssicherheit 

- das angepeilte Ziel im Stromsektor bis 2020 von 35 Prozent auf 50 Prozent Erneuerbare Energien zu erhöhen und so die Ausbauziele der Bundesländer anzuerkennen 

- den Zubaukorridor für die Photovoltaik in den nächsten Jahren nicht zu beschränken, sondern ausgehend von mindestens 5 GW/Jahr weiter auszuweiten - für eine installierte Gesamtleistung von mindestens 70 GW bis 2020 

- die geplanten drastischen Sonderkürzungen bei der Vergütung für Solarstrom zu stoppen, um stattdessen künftig die Vergütungssenkungen in gleitenden kleineren Schritten in einem Intervall von zwei Monaten vorzunehmen 

- einen Systemdienstleitungsbonus für Solarkraftwerke einzuführen, die mit modernen Wechselrichtern dazu beitragen, die Netzstabilität zu erhöhen und Netzausbaukosten zu reduzieren 

- ein umfassendes Markteinführungsprogramm für Energiespeicher aufzulegen sowohl für Batterien im Stundenbereich als auch Lösungen für Langfristspeicher, wie z. B. synthetisches Erdgas aus Wind- und Sonnenstrom 

- darüber hinaus im Erneuerbare-Energien-Gesetz einen finanziellen Anreiz für regelbare regenerative Verbundkraftwerke zu schaffen, bei denen die Stromerzeugung aus Wind, Sonne Biomasse und Wasserkraft sowie Energiespeicher mit moderner Informationstechnik zusammengeschaltet werden.

Quelle: EUROSOLAR e.V.
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