Artikel vom 14.02.2013, Druckdatum 25.11.2024 | |
Das Sonnenbuch – Bericht vom Anfang einer neuen Zukunft Das ist in vielfacher Hinsicht ein außergewöhnliches Buch: Es erscheint 19 Jahre nach dem Tod des Autors. Aber es ist trotzdem hochaktuell. Der Autor war ein begnadeter Zukunftsforscher. Sein Buch schließt eine Lücke in der bisherigen Solarforschung. Und schließlich beschreibt der Text, der zum Teil schon 40 Jahre alt ist, die Energiewende ganzheitlich in ihren technischen, kulturellen, sozialen, gesellschaftlichen und ethischen Dimensionen. Eine Rezension von Franz Alt. Einige Leserinnen und Leser haben es wohl schon gemerkt: Es handelt sich um ein spätes Buch von Robert Jungk, dem großen international renommierten Zukunftsforscher, Atomkraftgegner, Friedensaktivist, Visionär und Energiepionier. Dieses Buch ist auf fast jeder Seite ein Beweis dafür, dass sich der Einsatz für eine bessere Welt und eine bessere Zukunft lohnt. Die Alternativen, von denen der junge Robert Jungk träumte und für die er bereits in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts öffentlich kämpfte, tragen jetzt Früchte und werden heute Realität. Hauptsächlich die Energiewende und das Solarzeitalter. Diesem spannenden Buch ging ein spektakulärer Fund voraus. Im Nachlass des Zukunftsforschers fand der Leiter der Robert-Jungk-Stiftung, Walter Spielmann, eine unscheinbare Mappe mit einem visionären Fragment, das Anfang der Achtziger Jahre entstanden war. Es handelte sich um ungeordnete Blätter, die sich mit „Sonnenforschern, Sonnenbastlern und Sonnenverehrern“ beschäftigten. Spielmann hat den späten Fund zu einem sinnhaften Ganzen rekonstruiert: Zum „Das Sonnenbuch – Bericht vom Anfang einer neuen Zukunft“! Darin wird deutlich, dass und wie leidenschaftlich Robert Jungk auf die Kraft der Sonne als Symbol und Instrument einer zukunftsfähigen, nachhaltigen und friedvollen Welt setzte. Das Sonnenzeitalter, so Jungks große Hoffnung, werde ein neues Verhältnis zur Mitwelt, eine andere Form des Wirtschaftens, eine neue soziale Balance zwischen Industrie- und Dritte-Welt-Ländern und die Wiederentdeckung eines höheren Sinns in unserem Leben und Wirtschaften zur Folge haben. Aktueller kann ein Vermächtnis nicht sein. Jungk, 1994 in Salzburg gestorben, hinterließ ein Dokument seiner Zeit, das weit in unsere Gegenwart und darüber hinaus weist. Im Prolog erzählt Jungk eine mexikanische Sage, die er als Kind in der Schule gehört hatte, aber nie mehr vergessen konnte: Sie besagt wie die Sonne eines Tages nie mehr aufgehen wollte. Einige Tage hofften die Indianer auf ihre Wiederkehr. Vergeblich. Als die Dunkelheit nicht mehr weichen wollte, entsandten sie einen der ihren, damit er am Firmament viele kleine Funken sammle und aus ihnen eine neue Sonne forme. Jungk: „Als ein solcher Lichtsammler bin ich ausgezogen.“ Wie ein starker Paukenschlag klingt die Überschrift des ersten Kapitels: „Die Sonne gehört allen.“ Es gibt also keine RWE Sonne und keinen E.on-Wind. Wir alle sind „Kinder der Sonne“. Das hat einen spirituellen Klang. Es klingt nach „Kinder Gottes“. Die Analogie ist vom Autor gewollt. Denn der Zukunftsforscher weist darauf hin, dass in allen Religionen und in alten Kulturen die Sonne immer ein göttliches Symbol ist. „Ohne Sonne kein Leben“ hatte schon Albert Einstein einer Schulklasse geschrieben. Heute wissen wir, dass alles Leben tot wäre, wenn die Sonne zwei Wochen nicht schiene. Robert Jungk erinnert an die Kultur der „uralten Naturreligionen“ und ihre Sonnenverehrung, die nicht nur wegen unserer dringenden materiellen Bedürfnissen erklärt werden könne: „Es steht dahinter der Drang der Menschen, sich dem vergessenen Himmel, der verlorenen Erde wieder zu nähern, den Wind wieder zu spüren, die Wasser des Regens und der Flüsse wieder zu hören, die Rinde der Bäume, die Blätter der Pflanzen wieder zu berühren und das vielfältige Leben der anderen Kreaturen wieder zu teilen.“ Jungk war sich bewusst, dass er einen Tabubruch begeht, wenn er als Naturwissenschaftler „die metaphysischen und mythischen Antriebe der heutigen Sonnenbewegung zur Erklärung ihrer profunden Natur mit heranziehe“. Der Autor war kein religiöser Schwärmer, aber er meint – ganz religiös – über die Sonnenfreunde: „Indem sie die Quellen ihres Enthusiasmus („In-Gott-Sein“) verleugnen, begünstigen sie eine Banalisierung und Verflachung ihres geschichtlich bedeutsamen Anliegens“. Der Autor ging als Pazifist auch nach Los Alamos in New Mexiko an den Ort, an dem die erste Atombombe entwickelt und zusammengebaut worden war, an dem aber auch nach der Ölpreis-Krise in den Siebzigern Sonnenforschung betrieben wurde. In der ersten „Solar Energy Research Group“. Er besuchte die „Kalten Krieger“, aber auch die „Solar People“. Letztere wurden von den „Kalten Kriegern“, die Atomforschung betrieben, als Spinner und zweitrangige Wissenschaftler verachtet – schon deshalb, weil sie einen geringeren Etat hatten. Jungk aber war von ihrem Enthusiasmus für die Sonne beeindruckt. Die Solarfreunde experimentierten schon damals hauptsächlich an der „passiven Sonnennutzung“. An Solarhäusern, die mit möglichst wenig Apparaturen funktionieren sollten. Schon zehn Jahre nach Einrichtung dieser Solargruppe gab es in New Mexiko tausend verschiedene Sonnenhäuser, die weitgehend ohne herkömmliche Heizenergie auskamen. Ihre Forschungsergebnisse beeindruckten auch Präsident Jimmy Carter, der auf dem Dach des Weißen Hauses eine thermische Solaranlage installieren ließ. Sein Nachfolger Ronald Reagan ließ freilich dieselbe Anlage an seinem ersten Arbeitstag wieder abmontieren. Jetzt hatte Big Oil wieder Priorität. Seine Begegnungen mit dem 36-jährigen Solaraktivisten Denis Hayes haben Robert Jungk besonders geprägt. Der Mann hatte 1973 weltweit den „Earth Day“ eingeführt und im Mai 1978 den „Sun Day“. Millionen Menschen fassten auf der ganzen Welt neue Hoffnung, sowohl das Öl- wie auch das Atomzeitalter überwinden zu können. Wie Hayes begegnete Jungk auch den anderen Urvätern der neuen Graswurzelbewegung: Leopold Kohr, E.F. Schumacher und Ivan Illich. Sie alle waren für ihn, was er selbst längst war: Frühe Vorkämpfer für Maß und Menschlichkeit. Tief beeindruckt zeigt sich unser Autor auch von einem Plakat, das er im Vorzimmer eines kalifornischen „Solar Office“ sah. Es pries „Die perfekte Sonnenmaschine“. „Diese Maschine schafft gesunde Böden und verhindert Erosion, diese Maschine ersetzt ihre abgenutzten Bestandteile selber, diese Maschine reinigt Wasser gratis, diese Maschine ist eine lebende atmende Klimaanlage, diese Maschine verursacht keine Abfallprobleme, diese Maschine funktioniert mit Sonnenenergie “ Was aber ist das für eine Wundermaschine, fragt sich Jungk. Seine Antwort: „Ein farbenträchtiger Druck zeigt sie in ihrer ganzen Pracht. Es ist eine einfache grüne Pflanze“. Der Autor weist schon früh darauf hin, dass zu einer hundertprozentigen solaren Energiewende neben Sonne Wind und Wasserkraft auch die von Natur aus gespeicherte und speicherbare Bioenergie gehört. Die „Psychoanalyse des Feuers“ von Gaston Bachelard hat Robert Jungk stark beeindruckt. Ihn fasziniert auch dessen Analogie zwischen Feuer und Geschlechterliebe. Auch zwei Menschen „fangen Feuer“, „glühen füreinander“, sind „Feuer und Flamme“, gehen „füreinander durchs Feuer“, kennen die „Wärme der gegenseitigen Geborgenheit“, aber auch das „grelle Licht der Ekstase“ und die „ruhige Glut der Zärtlichkeit“. Aus dem „Feuer der Passion“ entsteht der Schöpfungsakt – ein neuer Mensch. Aus Kreaturen werden Kreatoren. Jungks nüchternes Fazit: „Wer aber Schöpfer wird, muss Verantwortung für seine Schöpfung tragen.“ Auf den Sonnenspuren von Robert Jungk können wir unser Sonnenbewusstsein neu schärfen. Mit seinem Bemühen um die Sonne will er gegen die sich ausbreitende Resignation ankämpfen. Mit seiner sehr hilfreichen Vorarbeit für das Solarzeitalter ist der uralte Kampf zwischen „Licht“ und „Dunkelheit“ in eine neue, vielleicht entscheidende Phase getreten. Danke, lieber Solar-Pionier Robert Jungk. Sie waren einer der ersten, die von einer „Sonnen-Gesellschaft“ träumten. Sie haben viele Nachfolgerinnen und Nachfolger. Robert Jungk: Das Sonnenbuch – Bericht vom Anfang einer neuen Zukunft, Otto Müller, Verlag Salzburg. Quelle: Franz Alt |